16. Januar 11


Das Web könnte so viel mehr sein, würden nicht Wikipedia und Blogs die Recherche und Publikation von Inhalten dominieren. Denn beide verhindern das Entstehen und die Veröffentlichung herausragender Texte durch einzelne Autoren.

Die gute, alte "persönliche Homepage", also die Website eines Autors, der sich dort intensiv mit "seinen" Themen auseinandersetzt, gibt es kaum noch. Und wenn es diese fast liebevoll antiquiert wirkenden Seiten noch gibt, dann stammen sie aus der Zeit vor "Web 2.0" und/oder von Opas, die ihre Homepage einem obskuren Hobby widmen. Schuld daran sind vor allem Wikipedia und Blogs.

Zum Thema Wikipedia hatte ich ja schon mal beschrieben, wie sehr so etwas wie die Stanford Encyclopedia of Philosophy jeglichem Wikipedia-Getrolle überlegen ist. Und ich bleibe dabei: Das Konzept der Wikipedia versagt in viel zu vielen Fällen. Gleichzeitig dominiert es die Recherche im Web aber so sehr, dass dies letztlich schädlich für das Potential des Webs überhaupt ist. Es ist nämlich so: Ich lese viel lieber Texte von Menschen, die sich mit Hingabe einem Thema widmen, als von Gartenzwerg-Trollen verstümmelte Kollektiv-Texte.

Wenn ich etwa bei Google "Französische Revolution" eingebe, will ich als erste vier Treffer lange Ergüsse von Historikern/fachkundigen Interessierten lesen, die sich aus unterschiedlicher Perspektive mit dem Thema beschäftigen. Kein "objektives" Wikipedia-Geblubber, das sich noch nicht mal auf Schulbuch-Niveau bewegt. Das Problem ist: Der erste Eintrag bei Google ist natürlich der Wikipedia-Eintrag, das wollen die Massen. Gleichzeitig werden dadurch mögliche Autoren abgeschreckt, die vielleicht etwas Substanzielles zum Thema beizutragen hätten. Das gilt umso mehr, je unbekannter das Thema ist.

Aber auch die Dominanz von Blogs in der Internet-Autorenwelt ist schädlich. So gut wie jeder, der online schreibt, tut dies mit Blog-ähnlichen Mitteln. Das Problem dabei ist, dass Blogs als Webtagebuch gedacht waren und nicht zur Veröffentlichung etwa von tiefgehenden Analysen, Materialsammlungen und wissenschaftlichen Abhandlungen. Blogs sind schnelllebig. Aktualität zählt mehr als Tiefe, Ausführlichkeit und Recherche. Es werden doch fast nur jene Beiträge gelesen, die aktuell auf der Startseite erscheinen. Das führt dann auch dazu, dass in Blogs bevorzugt aktuelle Themen behandelt werden und dadurch Selbst-Referentialität und Aufmerksamkeitsblasen entstehen. Wie viele großartige Texte sind wohl in den Archiven von Blogs vergraben, für immer verschollen? Wie viele großartige Texte wurden gar nie geschrieben, weil der Autor in seiner eigenen Blogstruktur gefangen ist?

Daher mein Ausruf: Es lebe die "Persönliche Homepage"!

An alle Blogger: Setzen Sie zumindest auf der Startseite Links zu Ihren besten Werken, und schreiben Sie auch mal was mit dem Hintergedanken, das Ergebnis dauerhaft auf der Startseite verfügbar zu machen!

Und an frustrierte, zu Tode getrollte Wikipedia-Autoren (ich wurde dort auch vergrault): Stellen Sie Ihre eigenen Wikipedia-ähnlichen Artikel ins Netz, schreiben Sie eine Abhandlung und stellen Sie diese mit einem aussagekräftigen Titel auf Ihre Startseite!

Und an alle, die erfolgreiche Blogs/Homepages betreiben: Setzen Sie Links zu hervorragenden Abhandlungen - das honoriert die Mühe der Autoren und erhöht die Auffindbarkeit dieser Perlen, die leider oft zwischen Wikipedia und Blog-Geblubber untergehen und daher meist gar nicht erst geschrieben werden!

Zum Abschluss noch ein Zitat von Jaron Lanier :

"On one level, the Internet has become anti-intellectual because Web 2.0 collectivism has killed the individual voice. It is increasingly disheartening to write about any topic in depth these days, because people will only read what the first link from a search engine directs them to, and that will typically be the collective expression of the Wikipedia. Or, if the issue is contentious, people will congregate into partisan online bubbles in which their views are reinforced. I don’t think a collective voice can be effective for many topics, such as history- and neither can a partisan mob. Collectives have a power to distort history in a way that damages minority viewpoints and calcifies the art of interpretation. Only the quirkiness of considered individual expression can cut through the nonsense of mob- and that is the reason intellectual activity is important."







Nachdem ich mich zunächst gefragt habe, auf welche Art Blogkritik das hier hinauslaufen soll, kann ich Ihnen durchaus zustimmen. Ich bedaure es nämlich auch sehr, dass zu 95% der aktuelle Beitrag und zu über 99% die letzten drei bis fünf Beiträge gelesen und kommentiert werden. Das bringt einen Aktualitätsdruck auch bei Dingen, die so gar nichts Tagesaktuelles an sich haben (was bei meinem und auch den von mir geschätzten Blogs fast immer der Fall ist). Es hat eine Menge Vorteile, eine Blogsoftware zu verwenden und sich in so einer netten Gemeinde wie blogger.de anzusiedeln, und wennn's in der Nachbarschaft was Neues gibt, schaut man gerne vorbei. Aber oft verebben die Diskussionen allzuschnell, und dann bin ich ganz gerührt, wenn - wie heute - jemand sich über Stunden immer weiter zurückarbeitet.

Ja, so schön Blogs sind, das ist ein Nachteil. Vielleicht würde es schon ein wenig helfen, verfügte die Blog-Software über eine "Sticky"-Funktion. Oder über eine Art Baukastenprinzip für die Gestaltung einer persönlichen Homepage, das die Blog-Orthodoxie von Kategorien und Chronologie irgendwie sprengt. Sicher ein interessantes Experimentierfeld.

Dieser Beitrag spricht mir aus der Seele - obwohl es doch schon paradox ist, so etwas gerade in einem solchen Medium, wie es in dem Artikel selbst ja gerade kritisiert wird, zu lesen.
Außerdem ist das Thema im Allgemeinen ein sehr komplexes, denn was ist das Web 2.0 nun mal, wenn nicht eine teilweise ins extreme gehende Ausprägung der Demokratie und der Meinungsfreiheit? Jeder darf schreiben, was und wie viel er will. Und das ist prinzipiell erst einmal gut. Das sich dadurch jedoch das Internet zu nichts weiter entwickelt, als einem Spiegel der Alltagsgesellschafft, in der zu 90% ja auch nur über gerade aktuelle Themen gesprochen wird, ist die Folge. Das Finden z. B. eines interessanten, lesenswerten Blogposts, kann man deswegen meines Erachtens gut mit einer ansprechenden Unterhaltung vergleichen. Eine solche liegt eben auch nicht "auf der Straße", ja lässt manchmal tage- wenn nicht wochenlang auf sich warten. Doch wenn sie dann einmal kommt, ist sie umso wertvoller.
Aber was macht man, in der "realen" Welt, wenn man hier und jetzt eine solche führen möchte? Man trifft sich mit Freunden oder begibt sich in eine Umgebung bzw. Gesellschaft, welche die Wahrscheinlichkeit auf eine solche erhöht. Ebenso muss man es meines Erachtens mit dem Internet handhaben. Das dies allerdings wiederum eine gewisse Abkapselung von Gruppen beinhaltet, liegt glaube ich schlicht und ergreifend in der Natur des Menschen.

Sehr gut getroffen, vielen Dank. Sicher kann das Internet keine Wunder bewirken und spiegelt letztlich vieles (bei weitem nicht alles!) der menschlichen Bedürfnisse und Verhaltensweisen (dies zuweilen durchaus verzerrt!). Insofern gebe ich Ihnen in vielem Recht.

Dennoch haben die Dominanz gerade von Wikipedia und Blogs durchaus Auswirkungen auf die Rezeption von Inhalten und eben auch auf die Produktion/Publikation von Inhalten - darum ging es mir. Und ich würde dieses Blog gerne zu einer Art "Persönlichen Homepage" umbauen, aber die verwendete Technik macht dies sehr aufwändig. Daher wünschte ich mir eine Plattform/Community wie blogger.de, die genau so etwas möglich macht und dazu ermutigt.

Übrigens: Was die "extreme Ausprägung der Demokratie und Meinungsfreiheit" angeht, bin ich mir da nicht mehr so sicher. Ich denke, heutzutage gehört mehr zur Meinungsfreiheit als die schiere Möglichkeit für jedermann, etwas zu veröffentlichen. Aber das gehört in einen eigenen Beitrag.

Wäre das denn so eine Raketenwissenschaft, diese Blogsoftware mit ihren Standard-Settings etwas zu entschleunigen?

Ich bin ja auch nicht mit allen antville- und CSS-Wassern gewaschen, aber ich hielte es für technisch machbar, beispielsweise nur ihre drei besten Beiträge auf der Startseite anzuzeigen (und wenn es hilft, nur anzuteasern, und den Rest hinter einen "weiterlesen"-Link zu packen. Desweiteren müssten Sie halt bei neuen Einträgen darauf achten, dass das Häkchen unter "Beitrag auf der Startseite anzeigen" nicht gesetzt ist, sonst werden diese drei Beiträge (oder wieviele auch immer) dann doch von neueren auf der Startseite verdrängt.

Konkretisieren Sie doch ein wenig, was Ihnen vorschwebt, und dann kann man ja mal gucken, ob das mit Bordmitteln der Blogsoftware zu machen ist. Schadet nichts, die Frage auch auf der Hilfeseite zu stellen, da lesen ja Admins und Blogger mit, die den einen oder anderen Kniff kennen, auf den unsereiner nicht mal im Traum kommt.

Sie haben natürlich Recht - das ist durchaus möglich. Ich habe halt momentan nicht so die Zeit und Muße, das anzugehen und bin auch nicht sicher, ob mein kleiner Pamphlete-Blog hier sowas hergibt. Aber ich werde definitiv mal versuchen, mit der Struktur zu spielen - ein bisschen CSS und PHP kann ich ja auch.

Ich würde mir generell mehr Experimentierfreude bei Bloggern und "Wizard-Designern" wünschen, um dieses Problem der Aktualität in den Griff zu kriegen. Sehen Sie, ich lese furchtbar gerne Blogs, habe aber sehr wenig Zeit - würde mich aber z.B. gerne auch an etwas älteren Diskussionen beteiligen. Oder nach zwei Monaten Blog-Abstinenz tolle Sachen finden, die Sie geschrieben haben, ohne mich durch sämtliche Beiträge zu klicken.