20. Februar 10


Seit Käptn Blaubär weiß jedes Kind, dass Seemansgarn eigentlich etwas Schönes ist. Es geht dabei nämlich um gute Geschichten. Und gute Geschichten zu erzählen ist sauschwer.

Das, was uns Michael Seemann in seinem neuen Blog bei faz.net serviert, hat leider mit guten Geschichten so wenig zu tun wie eine Abhandlung von Niklas Luhmann mit gutem Sprachstil. Aber was will man erwarten von einem Denker, der sein Denken in einen Zettelkasten ausgelagert hat, gewissermaßen die Verkörperung des bienenfleißigen, aber todlangweiligen Schmetterlingssammler-Akademikers in der geisteswissenschaftlichen Tautologie-Edition.

Zweifellos also wäre die Bezeichnung Seemannsgarn eine Auszeichnung, die Seemanns Blog nicht verdient.

Bei Seemanns zweitem Streich weiß ich gar nicht, wo ich anfangen soll. Ich presche einfach mal vor.

Da wäre zunächst die Bereitschaft Seemanns, seine Bücher zu verschenken. Er meint natürlich wegschmeißen, traut sich das nur nicht zu sagen. Shocking.

Da wäre die Belanglosigkeit der einzigen Geschichte, die er erzählt, nämlich die von seiner Twitter-Erweckung am Kottbusser Tor. Lieber Herr Seemann, was Sie beschreiben, ist nichts weiter als die Faszination, die ich als Kind verspürte, als ich das erste Mal ein Walkie-Talkie benutzte.

Da wäre das unzusammenhängende Namedropping von meist postmodernen Schwurbelgenossen, die kaum erklärt geschweige denn in die Argumentation eingefügt werden. "Komplexitätsreduzierendes Modell von der Realität", und jetzt?

Klar, möchte man anfügen, wir haben eine Theorie von der Welt, und diese passen wir an die Daten an, die wir von der Welt über unsere Sinne erhalten. Wobei wir - um einen Gedanken vom großen Quine aufzugreifen - eher geneigt sind unsere Theorie an der Peripherie anzupassen, wohingegen wir unsere Kernüberzeugungen trotz bisweilen überwältigender Evidenz nicht antasten.

Bei Seemann scheint dieser Theoriekern aus folgenden Überzeugungen zu bestehen:

1) Mein Denken verändert sich fundamental durch den Prozess der extremen elektronischen Interaktion mit Gleichgesinnten

2) Dies wird sich künftig in der Qualität potenzieren

3) Dieses Schicksal ist die Zukunft

Am ehesten würde ich 2) zustimmen, denn das Ende der Bullshit-Fahnenstange ist mit inzestiösen Twitterzirkeln mit Sicherheit noch nicht erreicht. Folglich muss ich auch 1) zustimmen, mit der Ergänzung, dass "fundamental" ziemlich übertrieben ist und dass sich das Denken durch extreme elektronische Interaktion mit Gleichgesinnten tatsächlich ändert - im Sinne nämlich von "es verkümmert".

Was 3) betrifft, gibt es zum Glück ganz überwältigende Hinweise aus der wunderbaren Sinneswahrnehmung, dass die allermeisten Menschen auf elektronische, extreme Dauerkommunikation so wenig Lust haben wie Herr Seemann darauf, seine Kernüberzeugungen an seine Sinneswahrnehmung anzupassen. Aber wer nur auf den Twitterschirm schaut, dessen Sinnesdaten sind vielleicht auch einfach etwas beschränkt.



DISCLAIMER: Ich kenne weder Herrn Seemann noch andere Berliner Netz-Apologeten persönlich. Da Herr Seemann offensichtlich auch provozieren möchte, ist scharfe Kritik ja durchaus als Zeichen zu werten, dass ihm das gelingt.







Beim Anblick von Twitter muss ich immer an 'Konfetti' denken, prompt bin ich beim 'Karneval' angelangt - und mitten in der schlimmen fleischlosen Zeit ...

Twitter klingt wirklich nach "kann ich nicht ernstnehmen", so wie fast alle Buzzwords. Wobei Twitter ja durchaus seine Berechtigung hat, nur bitte nicht als Zukunftsvision von irgendwelchen Internetsüchtigen.

twitter ist vorzueglich fuer bergungsarbeiten in katastrophengebieten geeignet, eine art techno-bernhardiner. ansonsten spreche ich dem medium jede langfristige relevanz ab - von der weiteren sprachverarmung bei 75% unserer bevoelkerung abgesehen, was ich aber nicht weiter schlimm finden, weil diese vorher auch nicht viel besser sprechen und schreiben konnten.

Stimmt - Twitter ist wie ein Hofhund, der im Falle eines Falles anschlägt. Zur Konversation jedoch ungeeignet.

Manchmal (und auch nur zu bestimmten Zwecken) zur Recherche nicht schlecht, ansonsten kindisch. Allein diese Hashtag-Sprache!

Und wer da glaubte, nach dem Exoskelett geht es nicht mehr verschwurbelter, der sollte mal Herrn Seemanns neuestes Geschreibsel (versuchen zu) lesen. Ich spar' mir den LINK, aber vielleicht wäre Herr lukeman so nett, ein paar Worte darüber zu verlieren - mir fehlen sie nämlich.

Ich habe es vorhin kurz überflogen (1. Satz eines jeden Absatzes), aber da Spaß was anderes ist, noch nicht wirklich gelesen. Aber das werd ich nachholen. Nur soviel: wenn dieses mspro-Blog die intellektuelle Speerspitze der Netz-Apologeten sein soll, dann lässt das, nun ja, gewisse Rückschlüsse zu.

Übrigens danke für die Kommentare, ich bin zwar nicht ganz unerfahren im Pamphlete-schreiben, aber die Bloggerei ist neu für mich...

Also ich weiß nicht. Soo unlesbar, wie viele es anscheinend empfinden, finde ich seine Beiträge nun auch wieder nicht. Stilkritik, ja klar, kann man manchen. Aber eine substanzielle inhaltliche Auseinandersetzung ersetzt das meines Erachtens nicht.

Zugegeben, Bashing-Artikel ersetzen nicht wirklich eine inhaltliche Auseinandersetzung. Ich finde das Thema ja auch spannend. Nur schafft der Autor es weder, eine prägnante und sprachlich ansprechende Chronik seines Lebens im Internet zu liefern noch schafft er einen intellektuellen Schlagabtausch mit Schirrmacher & Co. auf Augenhöhe, bei dem sich einzuklinken sicherlich Spaß brächte.

Seinen neuesten Artikel über Identität finde ich schon besser, aber auch hier: Widersprüche, Sprünge, haltlose Behauptungen, mangelnde Reflexion, tröpfelnder Stil.

Hallo luc,

danke für die Kritik. Es tut mir leid, wenn dir meine "Story" nicht gefallen hat. Ich weiß um die eigentliche Belanglosigkeit, der Situtation, jedenfalls, wie sie auf manche Menschen wirken muss. Ich glaube, es ist auch eine undankbare Aufgabe, sowas per Text "erfahrbar" zu machen. Besser habe ich das nicht hinbekommen.

Zur "schwurbeligen" Sprache: Luhmann ist nun wirklich kein postmoderne Theoretiker. Du hast aber recht, dass ich gewisse denkerische Anleihen in der Postmoderne mit mir trage, die auch sicher in dem Text durchscheinen. Das ist wohl Geschmacksache.

Ich finde deine Zusammenfassung meiner Überzeugungen etwas verkürzt. Ich beschreibe da ja schon eine gewisse Richtung, wie sich das alles entwickelt.

Des weiteren bin ich tatsächlich sehr auf - ich sag mal - "gefühlte Empierie" zurückgeworfen. Was ich in dem Blog beschreibe, sind tatsächlich gefühlte Entwicklungen. Daher lehne ich mich per se weit aus dem Fenster.

Hallo mspro,

Ich glaube tatsächlich, dass ich ein bisschen verstehe "woher Du kommst", und was Du uns sagen willst. Und ich finde das nicht uninteressant. Deinen Text über Identität fand ich schon besser, und zwar weil er etwas von einer Erzählung hat.

Dennoch versteigst Du Dich in wildeste Thesen, ohne auf die in diesem Zusammenhang wirklich interessanten Fragen einzugehen. Spontan fällt mir etwa ein: Nach welchen Kriterien "followst" Du Leute auf Twitter? Kann es nicht sein, dass sich da nur eine ganz bestimmte Szene tummelt? Stichwort Clusterfuck? Die Leute von den erwähnten Konferenzen zum Beispiel? Ist es nicht so, dass es da auf Twitter ein paar Gurus und eine "follownde Herde" gibt? Beeinflusst Du wirklich eine "Timeline" mit Deinen Gedanken? Was zum Teufel sind überhaupt 140-Wort-Gedanken? Außer Blödsinn für das Buch der witzigsten Twitterzitate? Ist es nicht so, dass gerade vor dem Hintergrund sprachphilosophischer Überlegungen tiefer gehende Diskurse (überhaupt: Diskurse!) bei solcher Ein-Satz-Kommunikation mit Unbekannten geradezu ausgeschlossen ist? Ist es nicht so, dass sich da lediglich Hypes aufschaukeln, die auch noch der letzte Depp verstehen muss? Damit meine ich auch die Beschränkung des Inputs auf ständiges googlen und wikipedia-en? Dass Menschen den Grips ausschalten, wenn sie sich ständig nur mit Versatzstücken befeuern und manipulierbar werden? Habe ich das Stichwort Clusterfuck erwähnt? Was bedeutet die von Dir beschriebene Form der Kommunikation für das Sozialleben, die Hierarchien, welche Charaktere fördert es? Schaumschläger vielleicht? Warum sind bei rivva fast nur Bullshit-Social-Media-Artikel oben und Spiegelonline-Schrott zu Zensursula-Themen?

Und so weiter. Zu Luhmann: Kein Postmoderner, daher schrieb ich auch "meist", aber Luhmann steht denen in Sachen Schwurbelei in nichts nach. Man merkt: Ich bin kein Fan von Luhmann.