01. November 10


Aus gegebenem Anlass möchte ich gerne ein paar Worte zum Thema Musik sagen.

Ja, es geht darum, was gute Musik ist und ja, ich gebe eine Antwort darauf. Lassen Sie mich hierzu ganz unbefangen, aber mit philosophischem Interesse der Frage nachgehen:

Gibt es Kriterien für gute Musik?

Wenden wir unsere Aufmerksamkeit in guter (sprach-) philosophischer Tradition zunächst auf das Wort gut. Was meinen wir damit, wenn wir sagen: Das ist gute Musik?

Diese Frage ist sehr berechtigt, immerhin handelt es sich beim Wörtchen "gut" ja nicht um die Beschreibung eines Zustands, den wir mit einem einfachen Verweis auf die Sinne überprüfen können (wie etwa: "Der Dirigent gestikuliert wild" oder "Das ist der Sound einer E-Gitarre"). Nein, wir haben es hier mit einem "thick concept" (Bernard Williams) zu tun, das ein ganzes Bündel von Aussagen enthält, die teilweise schwierig herauszufiltern sind.

Nicht gemeint jedenfalls ist "gut" in einem ethischen Sinne - wir würden wohl nicht auf die Idee kommen, Musik als "gut" zu bezeichnen, weil sie moralisch richtig ist. Wobei: Das kann manchmal wohl schon eine Rolle spielen, etwa bei Weltmusik, Charity-Pop oder im Zuge eines Israel-Palästina-Konflikt-Lösungs-Barenboim-Spektakels.

Nein, das allein kann es nicht sein. Drücken wir mit der Aussage, diese Musik sei gut, vielleicht den subjektivistischen Satz aus: Mich, und nur mich berührt diese Musik ungemein, was andere davon halten, ist mir aber egal? Wohl kaum. Wer von Musik behauptet, sie sei gut, erhebt schon einen gewissen Anspruch, andere Leute davon zu überzeugen, dass dies tatsächlich so ist. Es ist das alte Problem des Subjektivismus auch in der Ethik, dass unterschiedliche Positionen zu erbittertem Streit führen, also "chqu'un à sa facon" eben doch nicht so ganz hinkommt.

Und hier sind wir an dem Punkt, an dem Musikrezeption, gefühlte und behauptete Qualität von Musik eben dort ankommt, wo Musik herkommt: in der Gesellschaft. Jawohl. Musik hat mit Gruppen von Menschen, mit Lebensentwürfen, mit Generationen, mit Liebe zu tun. Dort entfaltet sie ihre Kraft: im Wechselspiel mit dem Charakter des Zuhörers, mit seiner Identität, seiner Geschichte - seiner Erfahrung. Es liegt eigentlich auf der Hand: Musiker/Komponist und Zuhörer sind beide an dieser Kraftentfaltung beteiligt.

Heißt das jetzt etwa, dass Eros Ramazotti im Radio des Audi-Autobahn-Rasers genauso gute Musik ist wie das Sibelius-Konzert der Berliner Philharmoniker für den Sibelius-liebenden E-Kritiker? Ich fürchte fast, wir kommen aus dieser Schlussfolgerung nicht ganz raus.

Ein kleiner Trost ist vielleicht, dass es uns als Individuum natürlich frei steht, den Sibelius-Kritiker als jemanden anzusehen, der uns näher ist und den wir daher ernster nehmen (ob das dann auch tatsächlich so ist, oder ob diese Nähe nicht dem Wunsch nach Nähe zu einer vermeintlichen Elite entspringt, sei einmal dahingestellt). Es ist also möglich zu sagen: Ich finde diese oder jene Musik besser, insofern sie einer Haltung, einem Geist entspringt, der mir näher ist. Das kann auch die langjährige Auseinandersetzung mit einer bestimmten Musikrichtung beinhalten. Oder anders: Wenn ich mich mit einem Eros-Ramazotti-Fan über gute Musik streite, dann bestreite ich nicht die Möglichkeit, dass ihm Eros Ramazotti genauso große Freude bereitet wie mir George Benson-Platten aus den Sechzigern oder ein Besuch in der Berliner Philharmonie. Nein, es ist ein Streit über Haltung und Geist, über Sozialisation, Normen und Denkmuster.

Heißt das nun, ich fröne hier dem völligen Relativismus? So ganz kann ich das nicht von der Hand weisen. Ohnehin glaube ich, dass philosophisches Denken so gut wie immer zum Relativismus führt, es sei denn, man macht sehr starke Prämissen (die dann übrigens oft je nach aktueller Mode mit Genen, mit Hirnströmen, Statistik, Hormonen, Urhorden oder ähnlichem zu tun haben).

Ich könnte jetzt auch solche Prämissen postulieren, etwa: Auf bestimmte Klänge/Akkorde reagiert unser Gehirn so-und-so. Oder: Bestimmte Arrangements liegen dem Menschen mehr als andere. Aber ganz ehrlich: Ich weiß sowas nicht. Die einzige Voraussetzung, die ich hier mache lautet: Musik entspringt der Gesellschaft, Musik wirkt auch nur im gesellschaftlichen Kontext. Das scheint mir plausibel.

Eine Pointe möchte ich aber noch bringen: Als Musiker und leidenschaftlicher Musikhörer bin ich überzeugt, dass man schon etwas allgemeiner von "guter Musik" sprechen kann. "Gute Musik" ist nämlich in meinen Augen solche, die in ihrem jeweiligen Kontext besonders viele Menschen emotional bewegt. Ich benutze bewusst das Wort Kontext, um auf kontextualistische Wahrheitstheorien anzuspielen, die in der Philosophie momentan en vogue sind und auch dort das Abendland vor dem Relativismus retten sollen. Das heißt: Eine Beethoven-Aufnahme, die von Beethoven-Fans geliebt wird, Led Zeppellin, den so viele Rockmusikfans verehren, James Brown, der so viele Pop-/HipHop-Musiker beeinflusst hat usw. - das ist gute Musik. Ja, ich glaube, man kann gute Musik ausfindig machen von der Trommelei des Naturvolks bis zur Neuen Musik. Und da Musikgenuss ja mit Haltung, mit Entwicklung und mit Identität zu tun hat, können wir in Kauf nehmen, dass nach diesen Kriterien auch Céline Dion - im Kontext des Mainstream-Pops - gute Musik macht.