05. Dezember 10


Zugegeben, manchmal ist mir "Ossietzky", Untertitel: Zweiwochenschrift für Politik / Kultur / Wirtschaft, doch etwas zu "Die Linke"-kampfblattig. Auch den bisweilen vermittelten Eindruck, die DDR sei im Vergleich zur faschistischen BRD ein Hort des Rechtsstaats und der Demokratie gewesen, mag ich nicht so recht teilen. Manchmal hat man als kritischer Leser - und an diesen wendet sich das Blatt - den Eindruck, hier führten die wenigen verbliebenen, überzeugten DDR-Kader von ihren Renten-finanzierten Berliner Arbeitszimmern aus einen letzten, aussichtslosen Feldzug gegen den faschistischen Klassenfeind.

Vor allem aber ist Ossietzky eines der letzten Medien in Deutschland, in denen noch wirklich toll geschriebene Texte zu lesen sind. Und diese beruhen auch noch auf intensiver Recherche und sind oftmals mit einer kulturgeschichtlichen Expertise gesegnet, die selbst in den Fäuletons der großen Zeitungen längst einer verwirrenden und langweiligen Gratwanderung zwischen Kultur-Apparatschikismus und Bildungsbürger-Gequäke gewichen ist.

Die Zeitschrift gibt es mittlerweile auch in Teilen online, aber "Ossietzky" liest man im Print. Das ist kein Blog und erst recht kein "Online-Projekt", das ist eine Zeitschrift mit einer über hundertjährigen Tradition, die man gefälligst im Abo hat. Das kostet nicht viel und unterstützt mutige Autorinnen und Autoren, die mit solchen Texten nun wirklich kein großes Geld verdienen, die bisweilen Probleme mit dem Verfassungsschutz und ihre Karrieren auf's Spiel gesetzt haben und die alle zwei Wochen dem widerlichen Neusprech des bundesrepublikanischen Politikgedöns eine glasklare, witzige und böse Stimme entgegensetzen. Anders als in vielen Blogs, die natürlich auch ein wichtiger Teil der alternativen Medienwelt sind, wird bei Ossietzky nach altmodischen journalistischen Tugenden gearbeitet: Dazu gehören die Einhaltung journalistischer Formen, hervorragende Recherche und perfektes Deutsch.

Ich empfehle allen, die nicht schon so indoktriniert sind, dass sie bei ein paar wohlwollenden Sätzen zur DDR-Geschichte gleich "TEUFEL!" schreien und erstmal zur Beruhigung zwei Stunden FAZ lesen müssen, sich ein Abo von Ossietzky zuzulegen. Es ist eine hervorragende Bett-, Klo- und Morgenlektüre, und nach einigen Ausgaben spürt man förmlich, wie sich ein differenzierterer Blick auf die aktuellen Geschehnisse der Politik und auf die jüngere Geschichte Deutschlands herausbildet. Man kriegt etwas mit, das über die einschlägigen Blogs hinausgeht. Gutes Print kann etwas, das Blogs nicht können.